Mobile-First Barrierefreiheit: Design für alle im Zeitalter der Smartphones
Erfahre, warum Barrierefreiheit in digitalen Produkten wichtig ist, welche Standards gelten und wie du barrierefreies Design in deinem Unternehmen vorantreibst.
Der European Accessibility Act (EAA)
– Design für alle
In der heutigen digitalen Welt ist Barrierefreiheit kein Luxus mehr, sondern eine Notwendigkeit. Für alle zu gestalten bedeutet, digitale Produkte zu schaffen, die von möglichst vielen Menschen genutzt werden können – unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten. Doch was genau bedeutet Barrierefreiheit, und warum ist dieses Thema für Unternehmen so wichtig?
Barrierefreiheit bedeutet, digitale Produkte so zu gestalten, dass sie einer breiten Gruppe von Menschen zugänglich sind. Jede und jeder von uns ist einzigartig - mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und Wegen, uns in der Welt zurechtzufinden. Als Designer*innen liegt es in unserer Verantwortung und in unserer Hand, digitale Produkte zu entwickeln, die von einem größeren Publikum genutzt werden können. Trotz aller Herausforderungen ist es eine ehrenvolle Aufgabe, das Web zu einem freundlicheren und inklusiveren Ort zu machen.
Was ist eine Behinderung?
Was ist Barrierefreiheit?
Es gibt ein breites Spektrum an Behinderungen – diese können dauerhaft, vorübergehend oder situationsbedingt sein. Alle diese Formen müssen beim Design digitaler Produkte berücksichtigt werden. Auch der mobile Bereich bildet da keine Ausnahme: Da Menschen Jahr für Jahr mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen, wird es immer wichtiger, digitale Produkte robust zu gestalten, sodass sie in den unterschiedlichsten Situationen nutzbar sind.
Oft betrachten sich Menschen selbst nicht als behindert – unabhängig von Art oder Schweregrad ihrer Einschränkung. Arten von Behinderungen umfassen:
Dauerhafte Behinderungen
Langfristige Einschränkungen, die sich nicht verändern, wie etwa Blindheit oder Taubheit.Vorübergehende Behinderungen
Kurzzeitige Einschränkungen, wie ein gebrochener Arm oder eine vorübergehende Sehschwäche.Situationsbedingte Behinderungen
Diese entstehen durch bestimmte Umstände, zum Beispiel wenn man versucht, ein Smartphone in grellem Sonnenlicht zu bedienen oder eine Sprachnachricht in einer lauten Umgebung abzuhören.
Wie man sieht, ist Barrierefreiheit beim Design kein Schwarz-Weiß-Thema. Nutzer*innen interagieren mit ihren Mobilgeräten in einer Vielzahl von Situationen und auf ganz unterschiedliche Weise – darum sollten gerade mobile Designs so flexibel und anpassungsfähig wie möglich sein.
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Barrierefreiheitsregeln für mobile Produkte
Im Zeitalter von Mobile-First-Design gelten diese Szenarien auch für mobile Designs und digitale Produkte. Viele Unternehmen setzen inzwischen auf „Mobile First“ – und es ist längst Trend, eine eigene App zu haben! Doch neue Barrierefreiheitsregelungen treten bald in Kraft und rücken digitale Produkte verstärkt in den Fokus.
Beim barrierefreien Design gibt es klare Regeln. Als Designer*in ist es wichtig, diese Prinzipien bei der täglichen Arbeit zu berücksichtigen. Die Leitprinzipien, wie sie von den WCAG definiert sind, lauten:
Wahrnehmbar – Informationen müssen so präsentiert werden, dass sie von den Nutzer*innen wahrgenommen werden können.
Bedienbar – Alle Komponenten und die Navigation müssen bedienbar sein.
Verständlich – Inhalte und Benutzeroberflächen müssen verständlich sein.
Robust – Inhalte müssen von verschiedenen Technologien interpretiert werden können – auch von unterstützenden Hilfsmitteln.
Wen betreffen die Regelungen des European Accessibility Act?
Der European Accessibility Act betrifft nicht alle gleichermaßen. Nachfolgend eine Übersicht, für wen die Regelungen gelten und wer davon ausgenommen ist.
Vom European Accessibility Act ist man betroffen, wenn man:
Anbieter von digitalen Produkten wie Websites, mobilen Apps und anderen digitalen Diensten ist.
Zu privaten Anbietern gehört, die digitale Karten für die Navigation, E-Commerce, Banking, Ticketing, Check-in-Automaten, Websites und mobile Services, Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten oder mobile Apps anbieten.
Wen betreffen die Regelungen nicht?
Den öffentlichen Sektor (für diesen gelten separate Richtlinien).
Online-Karten und Mapping-Dienste, wenn wesentliche Informationen barrierefrei auf anderem Weg zur Verfügung gestellt werden.
Inhalte von mobilen Apps, die als „Archive“ gelten und vor Juni 2025 veröffentlicht wurden.
Inhalte von Drittanbietern, die außerhalb der Kontrolle des Betreibers liegen.
Zusätzlich gibt es viele weitere gesetzliche Beispiele in den USA, Australien, Großbritannien und anderen Ländern, die die Barrierefreiheit von digitalen Produkten vorschreiben.
Deep Dive: Welche Standards gelten?
Dieser Abschnitt bietet eine Übersicht über die wichtigsten Standards und Anforderungen, die für mobile Produkte und zeitbasierte Medien gelten. Sie helfen dabei, Barrierefreiheit in der Praxis umzusetzen.
Wichtige Compliance-Punkte für mobile Produkte:
WCAG 2.1 (bald 2.2) AA-Konformität für alle Web- und digitalen Produkte.
Für mobile Produkte gilt vor allem die WCAG 2.1 (bald 2.2) in AA-Konformität, die für alle Web- und digitalen Produkte maßgeblich ist.
Darüber hinaus muss Sprachsteuerung möglich sein, während gleichzeitig auch eine sprachunabhängige Bedienung angeboten werden muss. Der Schutz sensibler Daten ist besonders wichtig - diese dürfen nicht laut ausgesprochen werden. Auch bei der Verwendung von Biometrie ist darauf zu achten, dass sie nicht die einzige Option bleibt; es müssen immer alternative Methoden bereitstehen. Die Tastenwiederholung muss sich anpassen lassen und mindestens eine Verzögerung von zwei Sekunden erlauben. Beim Doppeltippen sollte die Reaktionszeit mindestens 0,5 Sekunden betragen. Funktionen, die gleichzeitige Nutzeraktionen wie Pinch-to-Zoom erfordern, dürfen nicht vorausgesetzt werden - hier sind alternative Bedienmöglichkeiten gefragt.
Zeitbasierte Medien haben zusätzliche Anforderungen. Videos benötigen Untertitel sowie gesprochene Untertitel, und es muss immer eine alternative Möglichkeit zur videobasierten Kommunikation geben. Die Reihenfolge von Hover-Zuständen und Ereignisabfolgen muss sinnvoll und nachvollziehbar sein.
Auch die Navigierbarkeit spielt eine zentrale Rolle. Eine korrekte Fokus-Reihenfolge muss gegeben sein, der Link-Zweck sollte immer im Kontext erkennbar sein, und jede Seite braucht einen aussagekräftigen Titel. Es müssen mehrere Navigationswege angeboten werden, Überschriften und Labels sollen klar strukturiert und verständlich sein. Auch ein sichtbarer Fokus auf allen Bedienelementen ist Pflicht.
Bei der Umsetzung von Barrierefreiheit spielen verschiedene Eingabehilfen eine wichtige Rolle. So müssen Fehler etwa klar gekennzeichnet und Statusmeldungen für Nutzer:innen verständlich angezeigt werden. Ebenso sind eindeutige und gut lesbare Labels erforderlich.
Auch die Unterscheidbarkeit von Inhalten ist wichtig. Hierzu gehören das Einhalten von Kontrast-Mindestanforderungen sowie der bewusste Einsatz von Farben - entweder rein dekorativ oder mit ausreichendem Kontrast, wenn sie wesentliche Informationen transportieren. Texte sollen vergrößerbar sein und Text sollte nur zu dekorativen Zwecken als Bild verwendet werden.
Zukünftig kommen außerdem noch neue Anforderungen hinzu. So muss bei Drag-and-Drop-Funktionalitäten sichergestellt sein, dass Fokus-, Auswahl- und Drag-Zustände vorhanden und per Tastatur oder anderen alternativen Eingabemethoden bedienbar sind. Außerdem muss eine Bestätigung zur Neuordnung möglich sein.
Die Zielgröße interaktiver Elemente sollte mindestens 24x24dp betragen, um eine barrierefreie Bedienung zu gewährleisten. Hilfestellungen müssen konsistent zur Verfügung stehen, und bei erweiterter Authentifizierung wird eine AAA-Konformität gefordert.
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Wie man den Chef, Stakeholder oder das Führungsteam von Barrierefreiheit überzeugen kann
Barrierefreiheit wird oft als Nachgedanke behandelt. Doch als Designer:in hat man die Chance, Stakeholder von Anfang an mitzunehmen. Mit den neuen EU-Richtlinien und drohenden hohen Strafen steigt das Bewusstsein für gesetzliche Anforderungen. Außerdem gilt: Barrierefrei designte Produkte können von mehr Menschen genutzt werden - das führt zu höherer Reichweite und mehr Umsatz. Es ist also eine Win-Win-Situation.
Argumente, die helfen:
Es kann sich wie ein steiniger Weg anfühlen, Barrierefreiheit im Unternehmen voranzutreiben. Führungskräfte konzentrieren sich in der Regel auf den Geschäftserfolg, das Ausrollen neuer Features und Wachstum — Themen wie technische oder Design-Schulden, Nachhaltigkeit oder eben Barrierefreiheit rücken da schnell in den Hintergrund.
Man sollte sich also darauf konzentrieren, Barrierefreiheit in einer Sprache zu erklären, die die jeweilige Zielgruppe versteht. Sprechen Sie gezielt die Interessen Ihres Gegenübers an und zeigen Sie auf, welche Vorteile das Unternehmen und die Teams davon haben.
Der erste Ansatzpunkt ist die rechtliche Verpflichtung: Die Einhaltung gesetzlicher Standards schützt das Unternehmen vor Strafen und rechtlichen Problemen. Darüber hinaus erreicht man mit barrierefreien Produkten eine viel größere Zielgruppe — nicht nur Menschen mit dauerhaften Behinderungen, sondern auch ältere Menschen oder Personen, die sich in vorübergehenden Einschränkungen befinden. Außerdem verbessert barrierefreies Design die gesamte User Experience: Klare Navigation, verständliche Inhalte und einfache Bedienung kommen allen Nutzer:innen zugute. Und last but not least — vor allem in Gesprächen mit dem Marketing: Barrierefreiheit stärkt das Markenimage. Unternehmen, die Barrierefreiheit ernst nehmen, wirken inklusiv, modern und verantwortungsvoll.
Immer noch Gegenwind? Versuchen Sie es damit:
Um intern mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, lohnt es sich grundsätzlich, rechtliche Vorgaben wie den European Accessibility Act (EAA) hervorzuheben. Doch manchmal reicht auch das nicht aus. Wenn Ihr Unternehmen oder einzelne Stakeholder noch zögern, habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, Erfolgsgeschichten anderer Unternehmen zu teilen. Das zeigt, wie Wettbewerber bereits von barrierefreiem Design profitieren. Für datengetriebene Kolleg*innen können Sie den Return on Investment (ROI) ins Spiel bringen - zum Beispiel mit Zahlen, die belegen, dass barrierefreie Angebote zu höherer Interaktion und mehr Umsatz führen. Auch die langfristig geringeren Wartungskosten sind ein gutes Argument: Gut strukturierte, barrierefreie Websites sind stabiler und verursachen weniger Aufwand für Korrekturen und Anpassungen. Und der wichtigste Tipp: Suchen Sie sich Verbündete! Es ist deutlich einfacher, das Thema voranzutreiben, wenn man nicht alleine kämpft, sondern gemeinsam mit anderen internen Unterstützer:innen.
Fazit
Barrierefreiheit im Design bedeutet mehr als nur gesetzliche Anforderungen zu erfüllen – es geht darum, inklusive digitale Produkte zu schaffen, die alle Menschen nutzen können. Wer die Prinzipien und Standards versteht und deren Bedeutung klar an Stakeholder kommuniziert, trägt aktiv zu einer inklusiveren digitalen Welt bei.